Sonntag, 8. November 2015

Zurück zum Echten - Zurück zu uns selbst!


Ein edles Café mit dem Duft von heißer Schokolade in der Luft und großen Fenstern, die alle die Sicht auf einen schlummernden Schlossgarten freigeben. Mittendrin bin ich, verköstige meine Geschmacksnerven mit einer saftigen Schwarzwälderkirschtorte und gehe meiner liebsten Beschäftigung nach: Ich beobachte Menschen. Direkt vor dem Fenster zum Beispiel sitzt sich ein Pärchen gegenüber. Beide sind mit grüblerischem Blick in ihren Smartphones vertieft.

Aha. Gibt es hinter dem kleinen, rechteckigen Bildschirm etwa eine Art virtuellen Kobold, der unheilvoll prophezeit: Wenn du mir keine Aufmerksamkeit mehr widmest, setze ich die Tischdecke in Brand?

Man hätte vielleicht annehmen können, dass es sich bei den beiden um Personen in meinem Alter handelt. Aber nein. Ganz und gar nicht. Ich schätze sie auf Anfang fünfzig. Komisch eigentlich. Die sind doch von einer ganz anderen Generation - einer Generation, die noch das Vergnügen hatte mit dem "Echten" groß zu werden. Die sich noch durch Schlamm wälzte und im Wald Räuber und Piraten spielte, Säbel und Schwerter aus Ästen schwang, anstatt mit einem Wii Controller hin und her zu fuchteln. Aber vielleicht ist das mit der Handysucht, wie mit einer neuen Grippe-Epidemie: Sie hat nun auch diejenigen erreicht,  die im Kindesalter eigentlich dagegen geimpft worden sind.

Ich beschließe mir die beiden Mobiltelefone einfach wegzudenken – vielleicht bereitet mir das vor meinen Augen manifestierte Bild dann weniger Bauchschmerzen. Ausprobieren schadet ja nichts  ok  anscheinend doch, denn auch wenn ich versucht habe, mir einen ästhetischen Michel Angelo in die Realität zu zaubern, kommt höchstens eine Art abstrakter Picasso heraus: Da sitzen sich Zwei gegenüber. Gekrümmt auf die Tischdecke starrend, als würden sie über einen dort verweilenden Fleck sinnieren und als hielten sie es nicht für angebracht, sich gegenseitig über eine angemessenste Entfernung desjenigen auszutauschen. 

Oh man. Das wird jetzt schräg. Handys schnell wieder her ... klein und glänzend zwischen ihre faltigen Finger. Schon habe ich das dringende Bedürfnis etwas zu sagen, den beiden Unbekannten vorzuschlagen, dass es vielleicht besser ist, wenn sie sich nebeneinander setzen und nicht gegenüber, denn dann könnten ihre Hände damit beschäftigt sein, sich gegenseitig zu halten, anstatt sich gewohnheitsmäßig an Plastik zu klammern. Natürlich lasse ich es. Wäre auch zu komisch. Und unhöflich noch dazu.


Trotzdem - ich muss fair sein! Schließlich sehe ich ja nicht, welcher Beschäftigung sich die beiden gerade widmen. Und es wäre schon sehr impertinent, würde ich mich nun ganz selbstverständlich von meinem Platz erheben und den beiden unverhohlen über die Schulter glotzen, nur um festzustellen, dass sie gerade ganz verbissen in eine Partie Candycrush vertieft sind oder sich bei "Quiz-Duell" gegenseitig an die Wand spielen. Auch wenn es mich in den Kniekehlen juckt, bleibe ich also sitzen. 

Spätestens seitdem Instagramerin Essena O'Neill einige pikante Details aus der Social Media Branche öffentlich machte, ist das Thema neu aufgerollt: Sind wir nun wirklich schon so weit unserer Realität entrückt, dass wir uns über Like-Zahlen definieren und es vorziehen, uns anlächelnden Instagram Bildern ein Herzchen zu geben, anstatt über das Lächeln eines völlig Fremden auf der Straße in Begeisterungsströme auszubrechen? 

Naja - es müssen ja nicht gleich 
Begeisterungsströme sein, aber meist sind wir ohnehin so auf den kleinen, flimmernden Bildschirm in unserer Hand fixiert, dass wir das Lächeln der Menschen um uns gar nicht mehr wahrnehmen. Die Farben, Formen des Lebens weichen den Farben und Formen, die sich auf Bildschirmen tummeln - von einer Seite des Bildschirmes zur anderen tanzen und gepaart mit klug gesetzten Werbeanzeigen eine Welt versprechen, in der alles möglich erscheint. Facebook und Co. liefern uns nämlich die Möglichkeit in unserer so sehr geliebten Komfortzone zu bleiben und vom Sofa aus gehässige Kommentare abzulassen, die unter dem Begriff "Hater" fast schon zum Trend geworden sind. Ich muss natürlich nicht erwähnen, dass aus "Komfortzonen" nie etwas Außergewöhnliches geschaffen wurde? Es ist der Mut, über seinen Schatten zu springen … hinein in die echte Welt, um dort etwas zu kreieren, was unser persönliches Herz bewegt. Ironischer Weise halte ich es nicht für undenkbar, dass diese Welt, auch hier - im Netz - aufgebaut werden kann. Es hängt alles ganz von der Frage ab „definieren WIR unsere Welt auf den Bildschirmen, oder definiert SIE UNS?“

Was machen wir mit den Informationen, die wir dort absorbieren? Was empfinden wir, wenn ein Bild über 10.000 Likes bekommt? Werden wir sofort von der hohen Anzahl an Herzchen beeinflusst oder finden wir das etwas verwackelt abfotografierte Mittagessen von Instagramstar XY wirklich so spannend? Was wäre, wenn genau dasselbe Bild von einem "Noname" gepostet worden wäre? Ist es wirklich das wahrscheinlich schon kalt gewordene Mittagessen, das uns so in Verzückung versetzt, oder ist es der Gedanke daran, dass Instagram Promi XY auch auf Pommfritten mit Schnitzel steht? Das sind, wie ich finde, interessante Fragen, die bei näherer Betrachtung vielleicht sogar eine ganz individuelle Antwort für jeden von uns bereithält. 

Aber okay. Das muss ich jetzt schon zugeben. Wir befinden uns hier auf einem Blog. Und vielleicht wird dem ein oder anderen auch gerade bewusst, dass er sich just in diesem Moment in meine bunte Cyber-Welt verirrt hat und bekommt direkt ein schlechtes Gewissen.

Doch die wenigen Seelen, die hier einen Platz haben - da bin ich mir sicher - haben sich bewusst dafür entschieden, sich etwas gute Laune und Inspiration zu gönnen. Sie sind unerschrocken und voller Neugierde, wenn sie sich durch meinen ausschweifenden Text bis hier her gekämpft haben - in der Hoffnung von etwas zu lesen, was ihnen vielleicht sogar neue Denkanstöße liefert. Denn man muss doch einen Moment Inne halten und sich bewusst machen, dass sicher nicht alle Blogger - ob auf Instagram oder sonst wo - das Ziel einer Art Selbstdarstellung verfolgen oder gar darauf aus sind fleißig Likes zu sammeln, um sich dann dadurch "besonders" zu fühlen. Für diese Menschen wäre nämlich allein die Resonanz ausschlaggebend dafür, wie sie ihre Inhalte gestalten. Sie richten sich nach den tausend Seelen dort draußen, anstatt auf ihre eigene zu hören - deren Melodie jedoch ganz klar und wunderschön ist, wenn sie sich nur die Zeit nehmen würden ihr einmal wirklich zuzuhören. 

Womit wir wieder bei der Frage aller Fragen wären: Wer definiert uns? Definieren wir uns selbst, durch das was wir einfach sind? Oder messen wir uns an dem, was uns die Gesellschaft vorgibt, was auf Plakaten an Bushaltestellen hängt und über die Bildschirme dieser Welt flimmert? Denn die Welt in uns und um uns wird eine andere, wenn wir erst zu uns selbst und der Liebe in uns gefunden haben. Dann ist alles was wir anpacken und tun im Einklang mit unseren Überzeugungen und Ansichten - der Weg dorthin? Er führt vielleicht vorbei an so manchen Social Media Plattformen, was auch völlig okay ist, wenn wir nur stets die Melodie unseres Herzens berücksichtigen, uns immer treu bleiben und uns nicht im Strudel der tausend Farben und Formen verlieren ...

Ich bin zurück in meinem Café. Ohne, dass ich es gemerkt habe, haben die beiden Gestalten am Fenster angefangen eine rege Konversation zu führen. Ich drehe meinen Kopf neugierig von meiner Schwarzwälderkirschtorte weg und schnappe einige Gesprächsfetzen auf, wie ein Kind, das dabei ist bunte Herbstblätter aufzufangen, die ihm vom Himmel her entgegen segeln. Ich erwische nicht alles, aber das was ich festhalten kann gefällt mir.
Es geht um den nächsten Urlaub. Ah – mir geht ein Licht auf – dann diente das fleißige Starren auf jene kleinen Handybildschirme wohl dem Aufstöbern von passenden Unterkünften? Naja - ganz genau werde ich es wohl nie erfahren, aber ich bin doch erleichtert, dass jetzt wieder etwas mehr menschliche Nähe zwischen den beiden zu herrschen scheint. Ich muss Lächeln und mit einem leisen, zufriedenen Seufzen genieße ich mein letztes Stück Schwarzwälderkirschtorte. 

PS: Vielleicht wundert euch die Wahl meiner Bilder etwas - ich kann es euch nicht verübeln, denn Katzen und "Pommfritten mit Schnitzel" passen nicht unbedingt zusammen. 
Gut. Ich lüfte den Schleier, denn ich möchte euch sehr gerne verraten, warum ich gerade diese Bilder gewählt habe. Mit jedem einzelnen Bild verbinde ich etwas "Echtes" eine wunderbare Erinnerung, ein Gefühl, einen Geruch in der Nase, einen Geschmack im Mund, ein Geräusch, eine Melodie - denn Fotos sind nicht nur dafür da, um andere zum Staunen zu bringen. In erster Linie frieren sie doch für jeden ganz individuell besondere Augenblicke für die Ewigkeit ein. Und am Wichtigsten dabei ist: Der Augenblick ist es der zählt und nicht so sehr das Bild, das am Ende dabei herauskommt. 







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